Praxisanleitung: Erste Hilfe nach sexueller Gewalt leisten
Sexuelle Gewalttaten stellen einen massiven Eingriff in die körperliche Unversehrtheit und das sexuelle Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen dar. Sie haben unabhängig von körperlichen Verletzungen auch gravierende psychische Folgen. Etwa die Hälfte der Opfer erleidet posttraumatische Belastungsstörungen.
Sexuelle Gewalt liegt vor, wenn zur Befriedigung sexueller Bedürfnisse Handlungen mit geschlechtlichem Bezug ohne Einwilligung beziehungsweise Einwilligungsfähigkeit des Betroffenen vorgenommen werden.
Abbildung: Logo Notruf und Beratung für Mädchen und Frauen mit sexuellen Gewalterfahrungen Erlangen
Indikation
Patienten, die sexueller Belästigung, Beleidigung oder Gewalt ausgesetzt waren
Material
BOS-Funkgerät
Festnetz- oder Mobiltelefon
Durchführung
allgemeinen Maßnahmen der Betreuung durchführen
sicheren Ort herstellen
Nachtraumatisierung durch erneuten Kontakt mit Täter, durch Medienpräsenz oder Befragungen verhindern
gegebenenfalls Beweismittel (zum Beispiel Unterwäsche, zerrissene Kleidungsstücke) sichern
wenn von Patienten gewünscht, Vertrauensperson (Eltern, Partner, Freund) hinzuziehen / Kontakt herstellen
gegebenenfalls Psychosoziale Notfallhilfe rufen
Transport in Frauenklinik zur Beweissicherung anbieten
wenn von Patienten gewünscht, Kontakt zur Polizei / Kriminalpolizei zur Aufnahme einer Anzeige herstellen
Hilfsmöglichkeiten (Hilfetelefon, Beratungsstelle) aufzeigen
Sicherheit im Anschluss gewährleisten (zum Beispiel sicheren Nachhauseweg organisieren)
Beobachtungen sorgfältig dokumentieren / Gedächtnisprotokoll erstellen
Anmerkungen
An die Beratungsstellen können sich auch Helfer des Sanitäts- und Rettungsdienstes wenden, um einen belastenden Einsatz bewältigen zu können.
Formen von sexueller Gewalt
Zu den Formen sexualisierter Gewalterfahrung in Kindheit und Jugend und Erwachsenenalter zählen beispielsweise:
ungewolltes Berühren, Küssen oder auf den Schoß nehmen
sexuelles Belästigen und Bedrängen
Drängen oder Erzwingen von Geschlechtsverkehr oder sexuellen Handlungen
Drängen oder Zwingen zum Anschauen von oder Mitwirken in pornografischen Handlungen in Fotografie, Film oder Internetchat
Drohungen für den Fall, dass sich das Opfer nicht auf sexuelle Handlungen einließe
Verheiratung minderjähriger Frauen
Zwingende Strafverfolgung nach Anzeige
Sexuelle Gewalttaten sind Offizialdelikte. Das bedeutet, dass die Tat von Amts wegen verfolgt werden muss, wenn sie einmal angezeigt ist. Die Anzeige kann nicht wieder zurückgezogen werden. Wenn der mutmaßliche Täter angeklagt wird, muss der betroffene Patient im Strafverfahren vor Gericht in der Regel noch einmal als Zeuge aussagen. Eine frühzeitige Anzeige erhöht aber die Wahrscheinlichkeit, dass die Polizei den Täter ermitteln kann.
Auch die in die Betreuung eingebundenen Helfer können nach einer Strafanzeige als Zeugen vernommen werden.