Praxisanleitung: Sauerstoff anbieten
Unter normalen Bedingungen reicht der Anteil an Sauerstoff in der Raumluft (21 %) aus, um alle physiologischen Vorgänge aufrechtzuerhalten. Durch das Anbieten von zusätzlichem Sauerstoff wird die Sauerstoffversorgung des Patienten verbessert, indem der Sauerstoffanteil der Einatemluft erhöht wird.
Abbildung: Piktogramm Sauerstoff anbieten
Indikation
Atemstörungen
Material
Sauerstoffflasche
Druckminderer
Sauerstoffapplikationshilfe
Pulsoximeter
gegebenenfalls Verlängerungsschlauch
gegebenenfalls Fingertip oder anderen geeigneten Adapter zur Verbindung von Sauerstoffapplikationshilfe und Verlängerungsschlauch
Durchführung
Die folgenden Durchführungsvorschläge beschreiben die Technik mit unterschiedlichen Sauerstoffapplikationshilfen:
Tracheostoma
Anmerkungen
Das Anbieten von Sauerstoff setzt eine ausreichende Eigenatmung des Patienten voraus. Atemfrequenz und Atemtiefe müssen daher sorgfältig beobachtet werden.
Bei der Sauerstoffgabe ist darauf zu achten, das der Patient eine atemerleichternde Lagerung einnimmt: halbsitzend, Oberkörper aufrichten, beengende Kleidung (zum Beispiel Krawatte) öffnen.
Eine Gefährtung durch Rückatmung von angesammelten ausgeatmetem CO2 im Raum unter der Maske, oft auch als Totraum bezeichnet, konnte nicht nachgewiesen werden. [1]
Ein Verlängerungsschlauch kann beispielsweise mit einem geschlossenen Fingertip eingefügt werden und bietet bei tragbaren Sauerstoffflaschen mehr Bewegungsfreiheit.
Reinigung des Sauerstoffsystems nur mit sauberem trockenen oder mit sauberem Wasser befeuchteten Tuch.
Immer einen Restdruck (mindestens 10 bar) in der Flasche lassen. Bei Bedarf ist die Sauerstoffflasche zu tauschen.
Mit einfachen Formeln kann der Sauerstoffflascheninhalt und Sauerstoffvorrat berechnet werden.
Alle Sauerstoffapplikationshilfen sind Einmalartikel und sind nach dem Gebrauch am Patienten fachgerecht zu entsorgen.
Sauerstoffabgabemenge (Flussrate)
Die Sauerstoffgabe erfolgt nach Messung des Blutsauerstoffgehalt anhand folgender Zielbereiche: [2]
Patienten ohne Hyperkapnierisiko
Notfallpatienten ohne Risiko für hyperkapnisches Atemversagen sollen einen Blutsauerstoffgehalt von 94 % – 98 % erreichen.
Bleibt der Patient bei einer Flussrate unter 4 l/min Sauerstoff unter 94 %, besteht eine Notarztindikation.
Patienten mit Hyperkapnierisiko
Bei Patienten mit Hyperkapnierisiko (zum Beispiel COPD - chronic obstructive pulmonary disease, Asthma) kann es durch zu hohe Sauerstoffgabe zu relevanter Hypoventilation kommen. Daher liegt hier der Zielbereich für den Blutsauerstoffgehalt bei 88 % – 92 %.
Patienten mit chronischer respiratorischer Insuffizienz zum Beispiel bei COPD können an höhere Kohlendioxidpartialdrucke adaptiert sein, die unter normalen Umständen bereits symptomatisch wären. Ihr Atemantrieb wird dann vorwiegend durch den niedrigen Sauerstoffpartialdruck gesteuert. Eine zu 'aggressive' Sauerstoffgabe kann unter Umständen einen Atemstillstand auslösen. [3]
Wird der Zielbereich mit der maximal erlaubten Sauerstoffabgabemenge nicht erreicht, ist wiederum ein Notarzt hinzuzuziehen.
Abbildung: O2-Karte - Sauerstoffsättigung ohne Hyperkapnierisiko |
| Abbildung: O2-Karte - Sauerstoffsättigung mit Hyperkapnierisiko |
Wenn der Patient unter Sauerstoffgabe den gewünschten Blutsauerstoffgehalt nicht erreicht oder überschreitet, muss die Sauerstoffgabe um einen Liter pro Minute angepasst werden. Nach fünf Minuten kann die Sauerstoffzufuhr erneut angepasst werden. Dabei sind die maximal zulässige Sauerstoffabgabemenge zu beachten.
Kurzfristige Sättigungsausschläge (bis zu einer Minute) nach oben oder unten bleiben grundsätzlich ohne Konsequenz.
Bei einer Reanimation wird so schnell wie möglich mit maximaler Flussrate (ca. 15 l/min) beatmet. Bei Verwendung eines zusätzlichen Reservoir-Beutels oder Demand-Ventil kann die Sauerstoffkonzentration der Einatemluft zusätzlich erhöht werden.
Bei fehlender ärztlicher Anweisung gelten für die unterschiedlichen Sauerstoffapplikationshilfen folgende Maximalwerte bei Sauerstoffgabe durch einen Sanitäter:
Applikationshilfe | maximaler Flow | O2-Konzentration Einatemluft |
Sauerstoffnasensonde | 2 l/min | 30 % |
Sauerstoffbrille | 2 l/min | 30 % bis 40 % |
Sauerstoffmaske ohne Reservoir | 6 l/min | 40 % bis 50 % |
Sauerstoffmaske mit Reservoir | 6 l/min | 80 % bis 90 % |
Nach Ankunft eines Arztes ist dieser über die Sauerstoffgabe zu informieren und die Flussrate gegebenenfalls auf Anordnung zu korrigieren.
Sauerstoffgabe ÄLRD Bayern versus S3 Leitlinie
Der Zielbereich für Patienten ohne Beatmung, vorgegeben vom Ärztlicher Leiter Rettungsdienst Bayern (94 % - 98 %), weicht bewusst geringfügig ab von dem der deutschsprachigen Leitlinie 'S3 Leitlinie: Sauerstoff in der Akuttherapie beim Erwachsenen' (92 % - 96 %).
Abbildung: Sauerstoffgabe - Ärztlicher Leiter Rettungsdienst Bayern, Newsletter Nr. 10 vom 22.02.2022 - Moderate Hypoxämie: Delegation von Sauerstoffgabe |
| Abbildung: Sauerstoffgabe - S3 Leitlinie: Sauerstoff in der Akuttherapie beim Erwachsenen |
Tauchunfall / Ertrinkungsunfall
Die sofortige, kontinuierliche Sauerstoffzufuhr mit 100-prozentigem Sauerstoffgehalt ist bis zum Erreichen der übernehmende Einrichtung sicherzustellen, auch wenn der Patient keine Symptome zeigt. [4]
Für die Sauerstoffgabe soll die Applikationsform gewählt werden, die den höchsten verfügbaren Sauerstoffanteil bei Atmung beziehungsweise Beatmung des Verunfallten ermöglicht. [5]
Bei Ertrinkungsunfällen ist, wie bei Tauchunfällen, eine unverzügliche hochdosierte Sauerstofftherapie einzuleiten. [6]
Sicherheitshinweise
Von Sauerstoffflaschen gehen erhebliche Gefahren aus. Zum einen führen Beschädigungen der Flaschen bzw. Ventile zu einem ungehinderten Druckausgleich und damit zu gewaltigen physikalischen Kräften, bei Explosionen wurden Flaschen zum Teil hunderte Meter weit geschossen. Zum anderen beschleunigt Sauerstoff eine Brandentwicklung massiv. So können bereits elektrische Entladungen (zum Beispiel Funken bei der Defibrillation) bei erhöhtem Sauerstoffanteil ein Feuer auslösen. Daher sind folgende Sicherheitsregeln zu beachten. [7]
Ventil der Sauerstoffflasche stets langsam öffnen – maximal eine Umdrehung. Immer erst Ventil der Sauerstoffflasche und danach Mengenregler öffnen um Beschädigung des Druckminderers zu verhindern.
Nach Beendigung der Sauerstoffgabe ist das Ventil der Sauerstoffflasche zu schließen und das Sauerstoffsystem zu entlüften bis beide Druckanzeigen (Manometer) des Druckminderers Null anzeigen.
Um der erhöhten Brandgefahr in einer mit Sauerstoff angereicherten Atmosphäre durch vom Patienten nicht verstoffwechselten Sauerstoffes entgegen zu wirken muss darauf geachtet werden, dass kein überschüssiger Sauerstoff die Konzentration der Umgebung unnötig erhöht. Nach Beendigung der Sauerstoffgabe sind deshalb Anwendungsbereich (Fahrzeug) und Kleidung ausreichend zu lüften.
Sauerstoffflasche vor starker Erwärmung (z.B. Sonneneinstrahlung) schützen. Beim Umgang mit Sauerstoff sind Rauchen und offenes Feuer strengstens verboten. Anschlüsse und alle sauerstoffleitenden Teile sind frei von Öl und Fett halten (Vorsicht bei Fettrückständen durch Handcremes und Sonnenmilch) - Explosionsgefahr.
Sauerstoffflaschen trocken, bei normaler Raumtemperatur, liegend oder stehend mit geschütztem Ventilbereich lagern.
Beim Transport von Sauerstoffflaschen vorhandene Haltevorrichtungen verwenden und auf Schutz des Ventilbereiches achten.
Sauerstoffflaschen gegen äußere Einwirkungen schützen, nicht anschlagen oder werfen.
Die fünf F-Regel (5F) ist eine einfache Merkhilfe, den sicheren Umgang mit Sauerstoffflaschen zusammen zu fassen:
Feuer
Sauerstoffflasche von Zündquellen fernhalten. Rauchen und Umgang mit offenem Feuer ist strengstens verboten.
Fett
Anschlüsse und alle sauerstoffleitenden Teile sind frei von Öl und Fett halten (Vorsicht bei Fettrückständen durch Handcremes und Sonnenmilch) - Explosionsgefahr.
Falsches Werkzeug
Keine Werkzeuge verwenden und keine Gewalt anwenden. Anschlüsse nur per Hand anziehen.
Feuchtigkeit
Sauerstoffflasche vor Nässe oder Regen schützen.
Fallen
Sauerstoffflasche gegen Umfallen/Herunterfallen sichern (Sauerstoffflasche steht unter Druck) und nicht eingebaute Sauerstoffflaschen nur mit aufgeschraubtem Ventilschutz transportieren.
Literatur